110209 max bill das absolute augenmaß
Max Bill - das absolute Augenmaß
11.02.2011, 21:30 Uhr - 23:30 Uhr
Dokumentarfilm, Schweiz 2008
Länge: 85 min / Regie: Erich Schmid / Website
http://www.erichschmid.ch/page.php?2,3,0,6
Das Unikino Pupille der Frankfurter Goethe Universität lud gestern in Kooperation mit dem Deutschen Werkbund Hessen zu einem besonderen Filmabend ein. Bettina Rudhof dwb führte im vollen Saal in die Veranstaltung ein und beschrieb wichtige Stationen im Leben des Künstlers und Werkbundmitglieds, unter anderem Begegnungen mit Wassily Kandinsky, Laszlo Moholy-Nagy und Paul Klee in den frühen Lehrjahren am Bauhaus; aber auch sein stets politisches Engagement, über das Bill selbst nur selten sprach. 50 Jahre lang wurde er polizeilich beobachtet. Als Antifaschist erster Stunde versteckte er Flüchtlinge, setzte sich später gegen den Vietnamkrieg und Atomkraft ein. Max Bill war vielseitig tätig als Architekt, Künstler, Typograph und Designer. Er gilt als Begründer und wichtigster Vertreter der »Konkreten Kunst«. Seine monolithische Skulptur »Kontinuität«, ein fünf Meter hohes Moebiusband aus Granit, ist den Frankfurtern täglich auf dem Vorplatz der Deutsche Bank-Zentrale vor Augen.
Kritik. Der 2008 fertiggestellte Dokumentarfilm zeigt neben zahlreichen Werken viele Originalaufnahmen und Mitschnitte sowohl von Max Bill als auch von Zeitzeugen und Wegbegleitern. Haupterzählerin ist seine zweite Ehefrau Dr. Angela Thomas, die er – zwischen den beiden liegen 40 Jahre Altersunterschied – im Jahre 1974 heiratet und mit der er in enger Zuneigung bis zu seinem plötzlichen Tod 1994 auf dem Flughafen Berlin- Tegel verbunden bleibt.
Der Film zeigt über 85 Minuten eine sehr nahes, emotionales Portrait eines Menschen, den man aus heutiger Sicht wohl als “zu gut für diese Welt” beschreiben würde. Während des Films tritt verstärkt der Eindruck auf, dass insbesondere die befragten Zeitzeugen – Kollegen, Schüler, Freunde – eine an Superlativen nicht zu steigernde Verehrung an Bill huldigen, gesteigert eben durch Angela Thomas, die ohne Zweifel die Dramaturgie des Films deutlich mitbestimmt hat. Höhepunkt der Verklärung ist tatsächlich die finale Sequenz: Als die Entscheidungsträger der Stadt Zürich eine Urnenbestattung direkt auf Bills berühmten Pavillon-Skulptur in Zürich untersagen, exhumiert die Witwe die Urne und verstreut die Asche mit einem Freund an der Skulptur. Als ein Passant stehenbleibt und fragt, was sie da anstellt, antwortet ihm der Freund: “Das ist ein Auftrag von oben”.
Dies soll keine Polemik sein, im Gegenteil: Der Film Das absolute Augenmaß zeigt nicht nur das unglaublich produktive und kreative Werk Bills. Er vermittelt gerade durch den Wechsel von ruhigen, klavierbegleiteten Architektur- und Skulpturaufnahmen seiner Werke und durch seine eigenen Statements über dieselben als auch über seine Sicht, die Dinge zu sehen, das Bild eines Menschen, der zu all seinen Lebensphasen – vom lernwilligen Bauhausstudenten bis hin zum weltberühmten Künstler – keine Allüren, keine selbstdarstellerischen Zwänge aufkommen ließ. Mehr noch: 1953 ist er Mitbegründer der als Fortentwicklung des Bauhauses intentionierten HfG Ulm. Eine 1955 aufkommende Anti-Bewegung rebelliert gegen ihn als Direktor und fordert seinen Rücktritt, dem er 1955 folgt und zwei Jahre später die Hochschule sogar verlässt. Als er diese Situation im Interview wiedergibt – wie etwa ein halbes Dutzend Anwälte auf ihn einredet und ihm den Rücktritt nahelegt – steckt darin eine beispiellose Gelassenheit, die man in ihrer Essenz eigentlich als Schlüsselmoment des gesamten Filmes bezeichnen kann: Sein Rückzug ist eben kein Zeichen von Schwäche, sondern die eine von Grund auf (mathematisch-) logische und in seinem Schaffen und Wirken wie ein roter Faden durchziehende Erkenntnis: Kunst und Architektur werden über ihre Inhalte durch Schaffung von größtmöglicher Reduktion definiert. Erst dadurch werden sie konkret. Alles andere verblasst daneben und wird als unehrlich entlarvt. Jede vermeintliche persönliche wie auch berufliche Niederlage hat nichts mit dem Ego Max Bill gemein: sie werden alle in kreatives Schaffen transformiert. Beispiele dafür zeigt der Film viele.
Daher sind auch die subjektiven Beschreibungen über Bills´Persönlichkeit nur mit einem Wort zu kommentieren: integer. Wer sich die Werke und insbesondere die Skulpturen Bills betrachtet – sie umläuft -, der wird erkennen: Integrität ist die große Stärke in Bills´ Werk.
Fazit: Absolut sehenswert. Ein Dankeschön gilt Bettina Rudhof, die dem Frankfurter Publikum einen spannenden Filmabend ermöglicht hat.
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